Ferdinand von Schirachs Schauspiel „Terror“ – Das Publikum spricht das Urteil

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Ein Stück über moralische und ethische Wertvorstellungen

Bad Salzuflen. Der wesentliche Unterschied zwischen Theater, Kino und Fernsehen ist einfach: Theater ist live und die Zuschauerreaktionen beeinflussen die Aktionen auf der Bühne. Ferdinand von Schirachs Schauspiel „Terror“ geht noch einen Schritt weiter: Das Publikum stimmt darüber ab, welches Stückende die Schauspieler spielen. Und wenn das Schauspiel nun in der Inszenierung von Regisseur Thomas Goritzki für das Euro-Studio Landgraf am Freitag, 9. Dezember, um 19.30 Uhr im Kur- und Stadttheater an der Parkstraße in Bad Salzuflen in der städtischen „Schauspiel“-Reihe gegeben wird, hat das noch einen besonderen Reiz, da es erst vor wenigen Wochen im Fernsehen zu sehen war und es technische Probleme bei der Zuschauerbeteiligung gab. In der Bad Salzufler Aufführung spielen die aus Fernsehproduktionen und -serien bekannten Johannes Brandrup, Christian Meyer, Christoph Schlemmer, Annett Kruschke, Peter Donath und Tina Rottensteiner. Karten im Vorverkauf zu 16 bis 29 Euro gibt es an der Theaterkasse der Kurverwaltung, Telefon 05222/952-909, und bei der Bürgerberatung im Rathaus an der Rudolph-Brandes-Allee.
Der ehemalige Strafverteidiger von Schirach, der unter anderem durch seine Kriminalerzählungen „Verbrechen“ (2009) und „Schuld“ (2010) – auch als TV-Serien regelrechte „Straßenfeger“ – zur literarischen Entdeckung wurde, wählte für sein mit Spannung erwartetes erstes Theaterstück eines der weltweit beliebtesten und faszinierendsten Theatergenres: die Gerichtsverhandlung. Major Lars Koch, Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr, ist des 164­fachen Mordes angeklagt. Er erhielt nämlich den Befehl, einen von Terroristen gekaperten Airbus vom Kurs abzudrängen, um den gezielten Absturz des Flugzeugs in die mit 70.000 Zuschauern ausverkaufte Münchner Allianz-Arena zu verhindern. Als alle Abdrängungs-versuche fehlschlugen, entschied sich der Angeklagte, das Passagierflugzeug mit 164 Insassen abzuschießen, um mehr Menschenleben zu retten.
Dazu sind folgende Fragen zu beantworten: Ist er schuldig, weil er über das Leben und Sterben von 164 Menschen bestimmt hat, die keine Chance hatten, Einfluss auf seine Entscheidung zu nehmen? Hat er diese Menschen zum Objekt gemacht und damit ihre im Grundgesetz verankerten Rechte und ihre Menschenwürde verletzt?
Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung legen anhand überzeugend formulierter Argumente und spannender Zeugenbefragungen dar, warum der Pilot schuldig beziehungsweise nicht schuldig zu sprechen wäre. Dann darf das Publikum wie bei einem Schöffengericht abstimmen: Entscheidet sich die Mehrheit für „schuldig“, wird der Angeklagte wegen des 164-fachen Mordes verurteilt, einigt sich die Mehrheit aber auf „nicht schuldig“, spielt das Ensemble die „Freispruch“-Variante. Jeder Zuschauer und jede Zuschauerin muss also für sich die brisante Frage nach der im Grundgesetz garantierten Würde und der moralischen Verantwortung des Menschen beantworten: Darf Leben gegen Leben, gleich in welcher Zahl, aufgewogen werden? Damit ist jeder Zuschauer und jede Zuschauerin automatisch mittendrin in der Diskussion um gesellschaftspolitische, moralische und ethische Wertvorstellungen.
Ferdinand von Schirach konfrontiert in „Terror“ die Zuschauer direkt mit dem brisanten Dilemma: Sind Recht und Gerechtigkeit dasselbe? Anhand eines fiktiven, aber auf der Bühne sehr realistisch verhandelten Falls stellt er dem Publikum die Frage, ob ein Mensch vorsätzlich töten darf, um andere Menschen zu retten.

Bild- und Textquelle: Stadt Bad Salzuflen