Mehr als nur alte Brötchen

Auf dem Bild diskutieren (vlnr) Dr. Willi Witt, Vorsitzender der Arbeitsgruppe, die die Tagung vorbereitet hat, Dr. Thomas Pruter, Referent der Tagung und Leiter des Bereichs Forschung und Entwicklung der Emsland Group, Dr. Götz Kröner, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung und Dr. Norbert Haase, Leiter des Max Rubner – Instituts in Detmold.

Experten diskutieren in Detmold

Detmold. Stärke und Bioethanol werden aus Getreide und anderen Pflanzen gewonnen. Beide bergen großes Potenzial für verschiedene industrielle Anwendungen. Mehr als 130 Forscher und Entwickler aus aller Welt haben sich Mitte April zu einer internationalen Tagung in Detmold, getroffen, um aktuelle Entwicklungen in der Produktion und Anwendung beider Stoffe zu diskutieren.

 

Während der Kraftstoffalternative Bioethanol insbesondere in der EU noch die Akzeptanz fehlt, ist pflanzliche Stärke in der öffentlichen Wahrnehmung etwas Positives und wird vielfältig eingesetzt. Die nachhaltige Produktion und Nutzung beider Stoffe war daher auf der jüngsten Tagung der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung e.V. (AGF) im nordrhein-westfälischen Detmold ein wichtiges Thema. Das internationale Fachpublikum lernte, wie aus welchen Pflanzen mit Hilfe von welchen Enzymen und Technologien das jeweilige Endprodukt ökonomisch, nach neuestem Kenntnisstand und nachhaltig hergestellt und weiterverarbeitet werden kann. Aus 15 verschiedenen Ländern reisten rund 130 Frauen und Männer aus Forschung, Entwicklung und Wirtschaft in die beschauliche Kleinstadt. Die Chemiker, Physiker und Manager kamen etwa aus den Niederlanden, Frankreich, England, Russland, Indien, Uganda und den USA. Ihr Ziel: sich weiterzubilden und wichtige Kontakte zu knüpfen.

 

Die Veranstaltung vereinte zwei englischsprachige Tagungen vom 10. bis 11. April 2018: die „69th Starch Convention“ (69. Stärke-Konferenz) und direkt im Anschluss das „14th European Bioethanol and Bioconversion Technology Meeting“ (14. Europäisches Bioethanol- und Biokonversionstreffen). Beide Veranstaltungsteile hat die AGF in Kooperation mit dem Max Rubner-Institut, Detmold, und der Universität Hohenheim ausgerichtet. Die Teilnehmer bewerteten das offene und professionelle Umfeld der Veranstaltung sehr positiv. Gerhard Konieczny-Janda vom Biotechnologieunternehmen DuPont Industrial Biosciences schätzt besonders „die interessanten Kontakte zu Fachleuten von der Hochschule bis zur Industrie“, die er in Detmold knüpfen kann. Ähnlich geht es Edda Höfer, die als Biotechnologin der Südzucker AG zum ersten Mal an den Tagungen teilnahm. Neben wertvollen Kontakten zu Verfahrenstechnologen und Forschern & Entwicklern aus aller Welt interessierte sie sich besonders für aktuelle und erweiterte Anwendungsfelder.

 

Die Themen: Stärke

Stärke ist eine der wichtigsten Biopolymere der Welt, vereint sie doch die funktionellen Eigenschaften von flüssigen und festen Stoffen. Extrem vielseitig sind daher ihre Anwendungsgebiete. Während des Backvorgangs beispielsweise bindet das Makromolekül Wasser aus dem Teig und ermöglicht so eine viscoelastische Brotkrumenstruktur. Ein Vortragsthema der Tagung: Stärkestrukturen zu identifizieren, die das Wasserrückhaltevermögen von Weizenmehl verändern, und Methoden, um die Mehlstruktur während des Mahlprozesses mechanisch und thermisch zu modifizieren.

 

Die Teilnehmer lernten zudem, dass in den Niederlanden daran geforscht wird, wie Folien aus einem Gemisch aus Polyethylen und pflanzlicher Stärke hergestellt (geblasen) werden können, und dass Stärke auch in Holzklebern verarbeitet werden kann. Und sie erfuhren, dass Amaranth ein hochwertiges und nährstoffreiches Lebensmittel ist, ebenso wie der in Indien weit verbreitete Weiße Gänsefuß, dessen Stärke vergleichbar ist mit der weit verbreiteten Getreidestärke. Gemeinsam mit der Rosskastanie sind sie Beispiele für Alternativen zur Stärkegewinnung aus Weizen, Reis, Mais oder Kartoffel.

Neben der Herstellung und Modifikation spielte auch die Lagerung der Stärke eine Rolle. Prof. Dr. Dietmar Schulze erklärte die besonderen Fließeigenschaften von Pulvern und Schüttgütern wie Stärke und was bei der Konzeption von Stärkesilos zu beachten ist, damit das Produkt ungehindert und kontrolliert fließen kann.

 

Für die Universität Hohenheim stellte Dominik Wuest ein aktuelles Forschungsprojekt vor: Wie können hunderttausende Tonnen von nicht verwendeten, verworfenen Backwaren im Jahr – neben der Nutzung zur Biogasproduktion oder als Tierfutter – noch sinnvoll genutzt werden? Die Antwort: Altbackwaren bzw. die darin enthaltenen Kohlenhydrate seien ein sehr attraktives Ausgangssubstrat, um durch hydrothermale Umwandlung Plattformchemikalien wie etwa 5-Hydroxymethylfurfural (5-HMF) herzustellen – ein wertvolles Ausgangsprodukt für viele andere Industrieprodukte. Nebenbei fällt sogar eine Art Biokohle an, die als Brennstoff oder zur Bodenaufbereitung in der Landwirtschaft genutzt werden könnte.

 

Die Themen: Bioethanol und Bionkonversion

In der deutschen Biokraftstoffproduktion bilden Getreide und Zuckerrüben die Basis für Ethanol, Raps für Biodiesel und Mais für Biomethan. Ein Teil der Rohstoffe wird zu Biokraftstoff, ein weiterer zu Futtermittel verarbeitet. Der Anbau nachwachsender Rohstoffe ist zwar für die Landwirtschaft attraktiv. Die Produktion von Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse bzw. auf Nahrungsmittelbasis (sog. konventionelle Biokraftstoffe) werden aber insbesondere in der EU kritisch diskutiert. In Deutschland findet Biokraftstoff bei den Verbrauchern bisher sogar kaum Akzeptanz.

 

Dennoch tragen Biokraftstoffe zu einer positiven CO2-Bilanz im Verkehrssektor bei, da bei ihrer Verbrennung nur das Kohlendioxid frei wird, das die Pflanzen zuvor im Wachstum gebunden haben. Aus aktuellem politischen Anlass referierte Stefan Walter, Anwalt und Direktor des Bundesverbands der deutschen Bioethanolwirtschaft e.V. daher über das derzeit von EU-Kommission, EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten (EU-Rat) diskutierte sogenannte „Winterpackage“ – ein Maßnahmenpaket, das saubere Energie in Europa fördern soll. Es sieht neben vielen anderen Vorschlägen vor, den Anteil von auf Rest- und Abfallstoffen basierten Biokraftstoffen zu erhöhen (Biokraftstoffe der zweiten Generation oder auch „advanced biofuels“) und die Verwendung von konventionellen Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse (Biokraftstoffe der ersten Generation) zu deckeln. Erst im Januar hatte auch das EU-Parlament seine kritische Haltung gegen konventionelle Biokraftstoffe bestätigt. Ende April finden weitere Gespräche zwischen den drei Parteien statt, die voraussichtlich den Sommer über andauern werden.

Weitere Facetten auf der vielfältigen Bioethanol-Agenda waren: der frühzeitige Einsatz von Enzymen in der Produktion von Ethanol, Pilze zur Herstellung von hilfreichen Enzymen, der Einsatz von Zuckerrübensilage in anaerober Gärung und seine Wirkung auf den Fermentationsprozess sowie die Herstellung von Aceton und Butan aus Biomasse.

Bild- und Textquelle: Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) e.V. / DIGeFa GmbH