„Ganz Ohr“

Schlussrunde bei Ganz Ohr sein am Freitag in der Stadtbücherei:
Sven Neese Dr. Volker Malinowski, Moderatorin Elisabeth Webel, Daniele Eidmann und Axel Koch, Leiter der Stadtbücherei.

Lemgo. Der Lesewinter kann kommen: am Freitag gab es noch einmal ausreichend Anregungen für Lesehungrige, sogar Neuerscheinungen der Frankfurter Buchmesse waren dabei. „Ganz Ohr sein“ in der Lemgoer Stadtbücherei hat sich im Lauf der Jahre zu einem Geheimtipp für Bücherfreunde entwickelt. Hier werden auch Titel vorgestellt, die nicht auf den Bestseller-Listen zu finden, aber allemal lesenswert sind. Besonders schön: man erfährt nicht nur etwas über die Bücher, sondern versteht sie auch über den Hintergrund, den die „Vorleser“ an diesem Abend mitbringen. Sven Neese zum Beispiel. Er ist Leiter des Stadtteiltreffs Biesterberg. Ein sozialer Brennpunkt, so hat man das wohl Anfang 2000 gesehen. Neese hat den Wandel eines Teils der Mieterstruktur miterlebt, von den Rußlanddeutschen über die ALG II-Bezieher bis zu den Flüchtlingen heute. Sprache und damit soziale Kompetenz zu erwerben ist ein vorrangiges Ziel. Im Treff hat man sich häufig zuerst um die Kinder und Jugendlichen gekümmert. Über sie ließen sich dann auch die Eltern und die anderen Erwachsenen erreichen. Bei seiner Buchvorstellung „Das Fest des Ziegenbocks“ von Mario V. Llosa (Nobelpreis: 2010) geht es um eine brutale Hierarchie, die die Täter-Opfer sprachlos machen kann. Er hatte es sich bereits 2001 gekauft, ein stellenweiser grausamer Roman mit authentischem Hintergrund über die Diktatur Trujillos in der Dominikanischen Republik, das Attentat und die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Tyrannenmordes.

Ebenfalls um Lemgo und seine Bürger ging es bei Daniele Eidmann, wenn auch auf einer anderen Ebene. Die Erleichterung in Lemgo war zu spüren, als es 2016 hieß: Die „Frauen für Lemgo“ machen weiter, eben als die „Neuen Frauen für Lemgo“. Sybille Noack, noch vom Team um Teda Wellmer, sorgt mit den vielen anderen Helferinnen für Kontinuität in dieser Kulturinitiative. Das Theaterprojekt für Kindergarten-Kinder, die Unterstützung der Musikschule, des Sommer-Lese-Clubs der Stadtbücherei, all das wird weitergeführt, so Daniele Eidmann. Das beinahe größte Problem, scherzte sie, sei ein zentraler, rathausnaher und gut erreichbarer Lagerraum – auch da zeigt sich die Kontinuität. Trotz der vielen Arbeit bleibt Zeit zum Lesen: Nina George, „Das Traumbuch“, ein Buch, das der Leserin „unter die Haut gegangen ist“. Unglück, Rettung, schwerer Unfall, Koma – natürliches und künstliches, die Lebensgeschichte dreier Menschen in dramatischen Tagen in einem Hospital, all das verknüpft George zu einem spannenden Roman.

„Wir müssen nicht nur lernen, glücklich zu werden, sondern vor allem lernen, wie wir merken, dass wir glücklich sind“ – mit dieser These stellte sich Dr. Volker Malinowski vor, Chefarzt der median-Kliniken in Bad Pyrmont. Dr. Malinowski ist in Lemgo aufs Gymnasium gegangen und lebt auch heute hier. Diese Trennung von Wohn- und Arbeitsort ist ihm wichtig, um auch Privat- und Arbeitsleben vernünftig trennen zu können. Denn die Arbeit mit Menschen, die Freude am Helfen, macht ihm sehr viel Spaß. Hilfe zur Selbsthilfe ist die Devise in den Kliniken, und damit steht das Handeln statt dem Behandeln im Vordergrund. Und ganz wichtig: das Gespräch und dabei dem Patienten das Gefühl geben, dass er und sein Leiden ernst genommen werden. Von da aus war es für ihn schon spannend, dem berühmten schwedischen Arzt Axel Munthe, der ab Ende des 19. Jahrhunderts auf Capri mehr residierte als praktizierte, „einmal über die Schulter zu schauen“. In dessen „Das Buch von San Michele“ und in der kritischen Würdigung von Thomas Steinfeld „Der Arzt von San Michele“ ist es möglich. Und als Arzt lernt man, so Dr. Malinowski augenzwinkernd, die wichtigste Regel: den Patienten solange bei Stimmung halten, bis die Natur ihn geheilt hat.

Axel Koch, der Leiter der Stadtbücherei, hatte dann die vergleichsweise leichte Aufgabe, aus den rund 80.000 Buch-Neuerscheinungen des Jahres die fünf wichtigsten an diesem Abend vorzustellen, und Elisabeth Webel als Moderatorin brauchte „nur“ das Gespräch leiten und für die fließenden Übergänge sorgen. Und das gelang zur Freude der vielen Zuhörer wie immer sehr souverän.

Bild- und Textquelle: Freunde und Förderer der Stadtbücherei Lemgo e.V.