Eingebettet in das grüne Herz des Lipperlands liegt ein Ort, der auf außergewöhnliche Weise Tradition und Moderne verbindet. Lemgo, einst florierende Hansestadt, später Schauplatz dramatischer Hexenverfolgungen und heute ein Zentrum für Forschung und Digitalisierung, lädt ein zu einer Entdeckungsreise, die sich zwischen Fachwerk, Forschung und Fabeln entfaltet.
Historisches Herz: Die Altstadt von Lemgo
Wer Lemgo besucht, spürt es sofort: Diese Stadt hat Geschichte. Die Altstadt zählt zu den besterhaltenen in Nordrhein-Westfalen. Der Stadtkern gleicht einem lebendigen Geschichtsbuch – mit rund 500 denkmalgeschützten Gebäuden, darunter prächtige Patrizierhäuser, filigran verzierte Fachwerkbauten und steinerne Zeugnisse der Renaissance.
Der Marktplatz bildet das Zentrum – mit dem imposanten Rathaus, das mit seinem Treppengiebel, dem Erker und dem gotischen Saalbau ein Paradebeispiel für lippische Baukunst ist. Gegenüber erhebt sich die St. Nicolai-Kirche, deren mächtige Türme bereits seit dem 13. Jahrhundert die Stadt überragen. Ein paar Schritte weiter taucht man ein in das Gassengewirr der Mittelstraße, wo heute Cafés, kleine Boutiquen und Galerien das Flair der Stadt weitertragen.
Zwischen Fortschritt und Finsternis: Lemgo im Wandel der Zeiten
Lemgo wurde um 1190 von Bernhard II. zur Lippe gegründet und entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Handelsplatz. Als Mitglied der Hanse pflegte die Stadt enge Beziehungen zu anderen norddeutschen Handelszentren – Lübeck, Hamburg, Bremen. Davon zeugt noch heute die Bezeichnung „Alte Hansestadt“ im Stadtwappen.
Doch der wirtschaftliche Aufstieg hatte auch Schattenseiten: Im 17. Jahrhundert wurde Lemgo zu einem der Zentren der Hexenverfolgung in Westfalen. Mehr als 200 Menschen – vor allem Frauen – wurden beschuldigt, gefoltert und hingerichtet. Das Hexenbürgermeisterhaus, heute ein Museum, dokumentiert diese dunkle Epoche eindringlich und eindrucksvoll. Besonders erschütternd ist das Schicksal von Bürgermeister Hermann Cothmann, der wegen seiner grausamen Urteile bis heute umstritten ist.
Eine Stadt für Entdecker: Geheimtipps und Naturerlebnisse
Abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten offenbart Lemgo seine stillen Schätze. Wer die Stadt zu Fuß oder mit dem Rad erkundet, entdeckt romantische Winkel, historische Brunnen und verwunschene Pfade. Der Lemgoer Wall, eine rund zwei Kilometer lange Promenade auf den alten Stadtbefestigungen, bietet grüne Oasen mitten in der Stadt.
Naturfreunde zieht es ins Begatal – ein idyllisches Flusstal mit alten Mühlen, kleinen Brücken und reizvollen Wanderwegen. Besonders beliebt ist der Bismarckturm auf dem Windelstein, von dem aus sich ein weiter Blick über das Lipperland eröffnet. Und dann gibt es da noch die geheimnisvolle Wüstung Wüsten – ein im Mittelalter aufgegebenes Dorf, das heute mit knorrigen Bäumen, moosbewachsenen Grundmauern und einem Hauch Mystik lockt.
Wissenschaft trifft Mittelalter: Das moderne Lemgo
Trotz seiner historischen Anmut ist Lemgo keine Stadt, die in der Vergangenheit verharrt. Im Gegenteil: Am Rande der Altstadt befindet sich der Innovation Campus Lemgo, ein hochmoderner Standort für Forschung, Bildung und Technologie. Hier arbeiten das Fraunhofer IOSB, die Technische Hochschule OWL und zahlreiche Unternehmen daran, das Industriezeitalter ins digitale Zeitalter zu überführen – mit Schwerpunkten wie Künstliche Intelligenz, Smart Home und Industrie 4.0.
Dieser Zukunftsblick prägt auch die junge Szene der Stadt. Studierende, Startups und Kreative bringen frischen Wind in die alten Mauern, veranstalten Hackathons, betreiben kleine Cafés mit selbst geröstetem Kaffee oder organisieren Festivals, die Tradition und Moderne spielerisch verknüpfen.
Lemgo lebt – in seinen Festen, Märkten und Momenten
Das gesellschaftliche Leben in Lemgo ist bunt und herzlich. Der jährliche Kläschenmarkt, der Anfang Dezember rund um den Nikolaustag stattfindet, ist eines der ältesten Volksfeste der Region – eine Mischung aus Weihnachtsmarkt, Mittelalterfest und Familienkirmes. Über fünf Tage hinweg wird gefeiert, gegessen, getrunken und gelacht – ganz nach lippischer Lebensart.
Ein weiteres Highlight ist Lemgo Live, ein stadtweites Musikfestival, bei dem Cafés, Plätze und Straßen zur Bühne werden. Auch Kunst- und Handwerkermärkte, Freiluftkinos, Mittelaltertage und kulinarische Events ziehen das ganze Jahr über Menschen aus nah und fern an.
Fazit: Eine Stadt, die in keine Schublade passt
Lemgo ist kein Ort, den man „mal eben“ besichtigt. Es ist eine Stadt, die man erleben muss – mit Muße, mit offenen Augen und mit Lust auf Geschichten. Es ist ein Ort, der fasziniert, weil er sich widersetzt: Dem schnellen Blick, dem schnellen Urteil, dem schnellen Leben.
Hier fließt das Leben ein wenig ruhiger, aber nicht minder intensiv. In Lemgo spaziert man durch Jahrhunderte, trinkt Cappuccino in mittelalterlichen Höfen und diskutiert über künstliche Intelligenz zwischen historischen Stadtmauern.
Lemgo – eine Stadt wie ein gutes Buch: reich an Kapiteln, Überraschungen und Charakter.