„Verfolgte Kirche – verbotene Bibel in der Sowjetunion, 1918 – 1988“

Peter Siemens demonstriert die Hobelbank der Geheimdruckerei

Detmold. Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte lud zur Eröffnung der erweiterten Dauerausstellung ein, die anlässlich des Reformationsjubiläums dem christlichen Glauben in der Sowjetunion gewidmet ist.

Museumsdirektor Kornelius Ens eröffnete die feierlichen Veranstaltung in der Stadthalle Detmold und hieß unter anderem Heinrich Zertik als Bundestagsabgeordneten, Dr. Dennis Maelzer und Walter Kern als NRW-Landtagsabgeordnete, sowie Kurt Kalkreuther als stellvertretenden Landrat herzlich willkommen. Mit dem Titel „Verfolgte Kirche – verbotene Bibel in der Sowjetunion, 1918 – 1988“ solle die Ausstellung an die religiöse Freiheit als zentralen Aspekt unserer Gesellschaft erinnern. Gleichzeitig solle mit dem Motiv der Freiheit „eine Brücke geschlagen werden“ zu den Beweggründen Luthers, die Bibel auch für Laien zugänglich zu machen, sowie zum vorherrschenden Motiv der russlanddeutschen Siedler. Diese zogen, dem Ruf Katharina der Großen folgend, nach Russland mit der Hoffnung, dort mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu bekommen. Diese Hoffnung wurde jedoch schon wenige Jahrzehnte später mehr und mehr enttäuscht. Stattdessen erwuchsen unter dem kommunistischen Regime immer größere Repressionen, sowohl wirtschaftliche als auch religiöse. So war es erneut der Wunsch nach Freiheit, der ab Mitte des 20. Jahrhunderts die Rückkehr der Russlanddeutschen nach Deutschland initiierte und bis ins 21. Jahrhundert anhalten ließ.

Im Anschluss daran referierte der indische Philosoph und Theologieprofessor Dr. Vishal Mangalwadi zum Thema „Kirche und Gesellschaft: Das Vermächtnis der Reformation für eine multikulturelle Gesellschaft“. Roter Faden des Vortrags bildete die Entwicklung eines von Unfreiheit und Intoleranz geprägten Deutschlands im Mittelalter, welches dem heutigen Syrien in nichts nachgestanden hätte, hin zu einem von Toleranz geprägten Deutschland und Zentraleuropa. Zentrales Thema war dabei, wie es Europa gelungen ist, Religionsfreiheit und Toleranz staatlich zu institutionalisieren und inwiefern diese Freiheit heute erneut in Gefahr gerät. Die allgemeine Toleranz staatlich zu manifestieren sei laut Mangalwadi eine der größten Errungenschaften der westlichen Welt, dessen Prinzipien auf den Weisungen der Bibel fuße. Das Zulassen einer freien Debatte sei in Deutschland zuerst etabliert worden und hätte viele positive Entwicklung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens herbeigeführt.

Problematisch an der heutigen Zeit sei, dass sowohl das postfaktische Zeitalter, in dem sich der Westen zunehmend befindet, als auch das kommunistische Menschenbild der Religionsfreiheit und Toleranz entgegenstünden. Die Existenz einer allumfassenden Wahrheit werde zunehmend abgelehnt, auch von Intellektuellen. So fehle die Basis für eine gesunde, zielführende Debatte. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, plädierte Mangalwadi für die Freiheit der Veröffentlichung: „Wir sollten Menschen die Freiheit lassen, alles zu veröffentlichen, selbst wenn es falsch ist. Trotzdem sollte man alle Aussagen mit Argumenten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen dürfen. Wahrheit und Falsches sollten nebeneinander existieren dürfen, damit sie miteinander ringen können und die Wahrheit gefunden werden kann, die es immer noch gibt.“

Im weiteren Verlauf der Feierlichkeit in der Stadthalle eröffnete Ens noch eine Talkrunde, bei der Pfarrer Edgar Born, Prof. Dr. Peter Penner, Peter Siemens und die ehemalige Museumsleiterin Dr. Katharina Neufeld von den Repressionen in der Sowjetunion berichteten. Nachdem Dr. Neufeld die geschichtlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Religionsverfolgung in der atheistischen und kommunistischen Sowjetunion dargestellt hatte, konnte Pfarrer Born aus der Seelsorgearbeit mit Russlanddeutschen berichten, welche tiefgreifende Spuren diese Zeit bei den Gläubigen hinterlassen habe. So habe eine Familie ihre Bibel im Garten vergraben, da bei der Veröffentlichung ihres Besitzes ihre Freiheit und möglicherweise sogar ihr Leben riskiert hätten. Erst nach Beendigung der Repressionen hätten sie ihren Glauben neu ausgraben und entfalten können. Peter Siemens war als Jugendlicher der Untergrundkirche beigetreten und war Mitarbeiter der Geheimdruckerei, die pro Auftrag 3.000 russische Neue Testamente druckte. Der Theologieprofessor Peter Penner konnte auf die erfreulichen Veränderungen nach Zusammenbruch des Kommunismus hinweisen, so dass er an der Gründung einer christlichen Universität in St. Petersburg mitwirken konnte, die er später als Gründungsrektor leitete. Die Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass Religionsfreiheit von jedem Staat zu gewährleisten sei. Dieses diene der Religionsgemeinschaft und trage zur Stärkung der Gesellschaft bei.

Musikalisch gerahmt und untermalt wurde die Feierlichkeit durch das Sela-Trio des Privaten Musikzentrums Detmold, bestehend aus Linda Wiebe am Klavier, Senja Konttori am Violoncello und Jonathan David Misch an der Violine. Sie trugen Stücke u. a. von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann und Astor Piazolla vor.

Zur Ausstellung

In der Geschichte der Russlanddeutschen nahm der reformierte christliche Glaube eine besondere Stellung ein. 1762 lädt Zarin Katharina II. Fremde aus dem Ausland zur dauerhaften Ansiedlung in Russland ein. Zu ihren wichtigsten Versprechen gehört die Religionsfreiheit. Im Zuge der russischen Revolutionen 1917 ändert sich diese Einstellung allerdings. In der marxistischen Weltanschauung zum „Opium des Volkes“ herabgesetzt, wird Religion in Russland nach und nach verboten. Ab 1929 dürfen keine Bibeln mehr gedruckt werden. Doch deshalb hören die Menschen nicht auf zu glauben. Stattdessen wird die Ausübung von Religion oft im Geheimen fortgeführt.

Die Ausstellung schaut auf die Gesellschaft der Sowjetunion und fragt nach der Rolle der Religion zwischen Staat und Öffentlichkeit. Sie blickt aber auch in die Gesellschaft hinein. Wie verändert sich der Glaube, wenn er nicht mehr öffentlich ausgeübt werden kann? Ein Highlight ist eine in der Sowjetunion illegal betriebene Druckmaschine aus den 1970er-Jahren. Sämtlich aus improvisierten Einzelteilen zusammengesetzt, druckten Gläubige mit dieser Maschine hochkonspirativ christliche Literatur. Später fand die Maschine, eingegossen in einen falschen Betonblock, ihren Weg nach Deutschland, um sie vor dem KGB zu verstecken. Die Ausstellung zeigt weitere Schmuggelverstecke, mit denen Menschen unter Lebensgefahr christliche Literatur in die Sowjetunion brachten. Zur selben Zeit werden ältere Bibeln gleichsam als Schätze gehütet und von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte ist im Besitz von Bibeln aus dem frühen 18. Jahrhundert, an denen sich über 250 Jahre Familiengeschichte ablesen lässt. In der „geheimen Kammer“ in der Dauerausstellung des Museums wird so die Geschichte einer verfolgten Bibel erzählt, die trotz aller staatlicher Repression nicht an Bedeutung verlor.

Religion bleibt bis heute für viele Russlanddeutsche ein besonderes Thema. Religionsgemeinschaften bieten den „(Spät-)Aussiedlern“ in der (post-)sowjetischen Zeit oft einen ersten Anlaufpunkt in Deutschland. Gleichzeitig werden diese Gemeinschaften von außen oft als fremd wahrgenommen. Aus diesem Grund hat sich das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte entschlossen, dem Thema einen Ort in der dauerhaften Ausstellung des Museums einzuräumen. Eine Erklärung für die religiöse Diversität vieler Russlanddeutscher geht dadurch auch nach Ablauf des Reformationsjahres nicht verloren. Die Fragen über eine Vereinbarkeit von Integration und Religion werden die Gesellschaft anlässlich der jüngsten Ereignisse weit über das Reformationsjahr hinaus beschäftigen. Ein Grund mehr, diese Sonderausstellung dauerhaft in das Museum zu einzubinden.

Bild- und Textquelle: Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte