Rätselhafte Knoten der Inkas im Fokus

Untersuchung der wertvollen Khipus in der Sammlung Kulturen der Welt (v.l.n.r. Roger Meyer, Manny Medrano, Michael Zelle)

Manny Medrano, Wissenschaftler der Harvard Universität aus Boston, untersucht Khipus aus dem Lippischen Landesmuseum Detmold

Detmold. Khipu ist eine einzigartige, im dezimalen Stellenwertsystem aufgebaute Knotenschrift aus Lateinamerika. Entwickelt wurde diese Schrift während der Inka-Periode, vor etwa 1400 Jahren. Sie bestand bis zu der Eroberung und Zerstörung des Inka-Reichs durch die Spanier, im 16. Jahrhundert.  Das Wort Khipu stammt aus dem Quechua, der meistgesprochenen indigenen Sprache Südamerikas, und bedeutet „Knoten“.

Für den Betrachter sind es textile Kunstwerke, die aus Baumwollfasern, oder aus den Haaren unterschiedlicher Tierarten bestehen. Dahinter verbirgt sich jedoch ein hochkomplexes System. Die Khipus sind so angeordnet, dass an einer dicken Schnur einzelne Nebenstränge von etwa 20 bis 50 Zentimeter Länge geknüpft werden. In diese Nebenschnüre wurden mit Knoten Informationen gespeichert. Schon koloniale Dokumente aus Spanien wiesen darauf hin, dass diese Knoten dazu dienten, um Zahlen darzustellen. Durch den Knotentyp und die Position des Knotens an seiner Schnur, konnten Zahlen unterschiedlicher Größe angezeigt werden. So konnten  Güter wie Mais, Bohnen und andere Lebensmittel erfasst werden. Erste Forschungen wurden bereits in den 1970er Jahren gemacht. Dabei wurde festgestellt, dass die Inka eine Art binären Code verwendeten. Der binäre Code ist die Grundlage der Digitalisierung, die Inkas nutzen ihn bereits lange vor der Erfindung der Computer.

Aktuelle Forschungen lassen allerdings weitaus Spektakuläreres vermuten. Ein Team der Harvard Universität, unter der Leitung von Gary Urton, Professor für vorkolumbianische Studien, kam zu dem Ergebnis, das bestimmte Khipu auch Erzählstrukturen besitzen. Dies würde bedeuten, dass die Inkas die einzige bekannte dreidimensionale Schrift entwickelten. Bislang konnten die Wissenschaftler diese Zeichen allerdings nicht entschlüsseln.

Vielleicht ist Manny Medrano diesem Geheimnis einen großen Schritt näher gekommen. Sein Fachgebiet ist die angewandte Mathematik, mit einem Nebenfach in Archäologie. Er arbeitet im Professor Urtons Team an der Erforschung der Knotenschrift. Gemeinsam mit ihren Harvard-Kollegen verwalten sie ein digitales Archiv namens Khipu Database, welches Bilder, Beschreibungen und Vergleiche sammelt und kategorisiert.Kein leichtes Unterfangen, denn es gibt nicht mehr viele dieser „Schriftstücke“ der Inkas. Durch natürlichen Zerfall und die spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert wurden viele Khipus unwiederbringlich zerstört. Weltweit gibt es schätzungsweise nur noch ungefähr 800, die in Museen und Privatsammlungen vor dem Verfall gerettet wurden. Drei dieser kostbaren Objekte befinden sich in der Sammlung Kulturen der Welt, im Lippischen Landesmuseum, mitten in Detmold. Es waren diese seltenen Stücke, die Medrano nach Detmold führten.

„Die Untersuchung dieser Objekte ist ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg, die Muster die in der Kontenschrift versteckt sind, zu entschlüsseln“, hofft Medrano. Sicher ist bereits, bei Khipus aus Detmold handelt es sich um unterschiedliche Typen. Zwei enthalten, so ist der Amerikaner überzeugt, rein numerische Daten, der Dritte ist viel komplexer und besitzt eine Erzählstruktur.

„Dieses System zu begreifen ist sehr schwierig. Die Art, wie eine Schnur geknotet wurde, ob diese rechts oder links herum gesponnen wurde, die Farbe, das Hängen auf der Hauptschnur, die Art des Knotens und seine genaue Position, haben eine Bedeutung“, ist sich der Harvard Student  sicher. 

„Wir gehen im Augenblick von 1.536 unterschiedlichen Möglichkeiten aus, ein Zeichen darzustellen. Unser digitales Archiv wird immer umfassender, das vereinfacht das Identifizieren von Mustern. Realistisch betrachtet, könnte in naher Zukunft ein Computer-Programm dieses System decodieren“,  blickt Medrano schon in die Zukunft.

Dem Wissenschaftler von der renommierten Harvard Universität in Boston, Massachusetts, standen der Museumsdirektor Dr. Michael Zelle und Roger Meyer, der sich seit vielen Jahren intensiv mit der altperuanischen Sammlung des Museums beschäftigt, zur Seite. Die Sammlung Kulturen der Welt, in der die rätselhaften Knoten zu sehen sind, geht in ihren Ursprüngen übrigens auf die Zeit kurz nach Gründung des Museum zurück.

„Die Khipus stammen aus dem Nachlass von Dr. Eduard Gaffron. Der Arzt praktizierte in den Jahren 1882 bis 1913 in der peruanischen Hauptstadt Lima. Aus dieser damals größten Privatsammlung der Welt erhielt das Lippische Landesmuseum 1909 archäologische Objekte und Textilien geschenkt, deren besondere Qualität Detmold zu einer ersten Adresse für alle in diesem Sektor tätigen Altamerikanisten macht“, kennt Meyer die Geschichte der Sammlung.

„Es freut uns sehr, wenn unsere Objekte für Forschungszwecke auserwählt werden. Immerhin handelt es sich bei Harvard um die älteste Universität der Vereinigten Staaten. Dies zeigt, welch kostbare und seltene Exponate sich in unseren Sammlungen befinden“, so Zelle.

Noch sind die Geheimnisse der Knotensprache ungelöst, das Forschungsteam der Harvard Universität ist jedoch dabei sie zu entschlüsseln. Wer selber rätseln möchte, kann die Khipus in der Abteilung Kulturen der Welt, im Lippischen Landesmuseum sehen.

Bild- und Textquelle: Lippisches Landesmuseum Detmold