Dr. Kai Unzicker über die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland: „Einwanderung und Vielfalt ist die Normalität“

Referierte auf Einladung des Kommunalen Integrationszentrums in Detmold: Dr. Kai Unzicker.

Ist Deutschland ein Einwanderungsland? Wieviel Integration und Vielfalt ist gewollt oder möglich und wie entwickelt sich die öffentliche Debatte seit Beginn der Flüchtlingskrise? Antworten auf diese Fragen, in Form markanter Thesen, hat Dr. Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung jetzt vor rund 60 Zuhörern im Kreistagssitzungssaal des Detmolder Kreishauses formuliert. „Rückblickend“, so der Sozialwissenschaftler, der auf Einladung des Kommunalen Integrationszentrums des Kreises Lippe referierte, „beschäftigt uns die Debatte um Zuwanderung und Vielfalt in der Gesellschaft schon seit geraumer Zeit. Sie hat aber durch die große Aufnahme von schutzsuchenden Menschen im Jahr 2015 wieder massiv an Dynamik gewonnen und sich verschärft.“ Und so erläuterte auch Lippes Landrat Dr. Axel Lehmann in seiner Begrüßung: „Allein in Lippe haben wir in jüngster Vergangenheit mehr als 4400 Flüchtlinge aufgenommen. Dabei hat sich unsere Region weltoffen und tolerant gezeigt. Jetzt ist eine erfolgreiche Integration auf allen Ebenen für uns ein wichtiges Thema.“

Dass Deutschland allerdings bereits seit vielen Jahrzehnten faktisch schon ein Einwanderungsland ist, belegt Unzicker mit Zahlen. So hätten heute 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund – die Tendenz sei steigend. Bei den unter 10-Jährigen seien es sogar 35 Prozent aller Kinder. Diese Vielfalt wirke sich durchaus positiv auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowohl im internationalen wie auch im nationalen Vergleich aus. „Bei den Bundesländern ist der Befund eindeutig: Der Zusammenhalt ist dort am stärksten, wo die Vielfalt am größten ist, wie in Hamburg, Baden-Württemberg und Hessen. Am schwächsten ist er, wo es kaum Vielfalt gibt, wie in Ostdeutschland“, stellte der Sozialwissenschaftler die Ergebnisse einer Studie vor. Den stärksten Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt habe aber das Wohlstandsniveau und die Armutsquote in einer Gesellschaft. „Zusammenhalt muss man sich leisten können“, so Unzicker. „Wenn die Menschen sich hauptsächlich um ihr eigenes Auskommen sorgen müssen, bleibt nicht viel Zeit dafür übrig, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren.“

Trotz der verschärften Wortwahl in der Debatte um Einwanderung und der damit verbundenen Vielfalt, sieht Unzicker in der Grundhaltung der Bevölkerung eine wachsende Liberalität. So seien nach Studien der Universitäten Bielefeld und Leipzig die rechtsextremen und ausländerfeindlichen Einstellungen gesunken. Hätten 2002 noch 27 Prozent der Deutschen ausländerfeindlichen Aussagen zugestimmt, sei die Zahl 2016 auf 20 Prozent gesunken.

Die Ablehnung von Vielfalt und Einwanderung sei laut des Referenten oft gekoppelt an die Angst vor einer globalisierten Welt. Viele Menschen würden sich durch die Globalisierung verunsichert fühlen und ihren gesellschaftlichen Status gefährdet sehen, so Unzicker. Insgesamt beherrsche sie ein negatives Gefühl des Kontrollverlustes. Diese Gefühlslage sei vor allem bei den Personen vorhanden, die keine Kontakte zu Menschen mit Migrationshintergrund hätten.

Abschließend hielt der Wissenschaftler fest: „Die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland ist weder neu, noch ist sie eine Ausnahme und schon gar nicht geht sie weg. Sie ist die neue Normalität in der Bundesrepublik. Ein gelingendes Zusammenleben vor Ort ist kein Schicksal, sondern kann gestaltet werden“.

Bild- und Textquelle: Kreis Lippe